Nachhaltige digitale Orientierungsangebote – Ein Erfahrungsbericht von Hop-on

Nachhaltige digitale Orientierungsangebote – Ein Erfahrungsbericht von Hop-on

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge haben wir uns die vielen großartigen Ideen beim HFD-Hackathon angesehen. Vor allem acht der 76 vorgestellten Projekte planen, Orientierungsangebote zu entwickeln, die die zunehmend unübersichtliche Anzahl an Beratungsangeboten oder digitalen Tools und Lernangeboten zielgruppenspezifisch strukturieren und Nutzer_innen auf ein passendes Angebot hin- oder direkt verweisen.

So fokussiert die Toolbox eine Orientierung hinsichtlich vorhandener Tools in der digitalen Bildung anhand bestimmter Kategorien. Sie soll kollaborativ weiterentwickelbar sein. Die Plattform zu Rassismus an Hochschulen soll das aktuell nicht ausreichende Angebote an Antidiskriminierungsberatung ergänzen und einen Raum zum Austausch von Menschen bieten, die von Diskriminierung betroffen sind bzw. unterstützen wollen. Das Digital Education Dashboard (DigEDa) soll einen Überblick über Tools der digitalen Lehre geben – jedoch nach Institutionen filterbar – und zudem konkrete Empfehlungen geben. Darüber hinaus sollen Lehrende (persönlichen) Support bei technischen Problemen erhalten. Die Plattform „Chancengleichheit für alle Studierende-StudEqual“ soll barrierefreie Lerninhalte und Unterstützungsangebote bereitstellen. Der Beratungslotse „Follow me“ soll Studierenden helfen, ihren Weg durch den “Beratungsdschungel“ an einer Hochschule ausgehend von einem Entscheidungsbaum zur richtigen Anlaufstelle bzw. Person für ihr Anliegen zu finden. Das Toolcast: digitale Tools in Lehrerbildung und Schule strebt eine expert_innenbasierte Erprobung und Auswahl verschiedener Werkzeuge und Plattformen sowie der Ergebnisdarstellung an. Der RecoMentor – Lern- und Information Recommender ist ein KI-Empfehlungssystem für Lerninhalte. Survey² – Research goes on(line): Community für Onlineforschung will eine Plattform entwickeln, auf der Forschenden sowie Studierenden u.a. passende Tools empfohlen werden.

Diese Projektideen zeigen, dass ein hoher Bedarf, nicht nur an konkreten Tools und Angeboten, sondern auch der zielgruppen- und themenspezifischen Orientierung vorhanden ist.

Rückblick

Mit derselben Idee sind wir 2016 mit Hop-on gestartet. Wir wollten Erwachsenen und insbesondere erwachsenen Neuankommenden mit Fluchtgeschichte und dem Wunsch, einen (anerkannten) Berufs- oder Studienabschluss zu erreichen, einen möglichst nachvollziehbaren Weg durch das mehr als komplexe föderale Bildungssystem mit unterschiedlichsten Beratungs- und Unterstützungsangeboten sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen – insbesondere dem Asyl- und Sozialrecht – bahnen und sie an individuell passende Beratungs- und Weiterbildungsinstitutionen verweisen. Ziel war es, selbstbestimmte Entscheidungen in einem System zu ermöglichen, das durch Intransparenz und strukturelle Hindernisse, aber auch von Ausgrenzungen geprägt ist. Hop-on wurde von der TU Hamburg und dem Projekt EMSA bei der INBAS GmbH  initiiert und in Kooperation mit der Kiron Open Higher Education gGmbH  und der DQG mbh weiterentwickelt.

Nach intensiver Entwicklungsarbeit mit zahlreichen engagierten Menschen zwischen 2016 und 2018 haben wir uns aufgrund fehlender Ressourcen für die Pflege und Weiterentwicklung sowohl der Technik als auch der Inhalte in diesem Jahr schweren Herzens entschlossen, unsere Webpräsenz zu beenden und das Projekt zu archivieren. Hier möchten wir Einblick in die Entwicklung geben und unsere Erfahrungen über zu berücksichtigende Schritte und Rahmenbedingungen sowie den Archivierungsprozess teilen.

Was haben wir in Hop-on entwickelt?

  • Prozesse

    Verknüpfung von GitLab mit der Webseitenanwendung

    Integration der Übersetzungsplattform crowdin

    Übersetzung aller Hop-on-Inhalte in Arabisch, Englisch und Persisch (mit Ausnahme des Leitfadens für Berater_innen)

    Übersetzung der Untertitel von drei Videos in Arabisch, Farsi und Englisch

    Integration einer Newsseite

    Integration eines Formulars für individuelle Anfragen (Abschaltung nach Inkrafttreten der DSGVO)

    Beantwortung individueller Anfragen

Prinzipien der Entwicklung

Hop-on folgte in seiner Entwicklung vier grundsätzlichen Prinzipien:

Obwohl Hop-on das Erreichen eines beruflichen oder akademischen Bildungsabschlusses in den Fokus stellte, sollten Nutzer_innen ohne (anerkannten) Abschluss immer die Möglichkeit haben, andere Wünsche oder Bedarfe zu äußern. Dies beinhaltet sowohl die Unsicherheit über die eigenen Wünsche als auch die Entscheidung, Arbeit zu finden. In diesen Fällen stellte Hop-on weitere Informationen zu Beratungsangeboten und Online-Informationsplattformen zur Jobsuche zur Verfügung.

Alle Inhalte von Hop-on wurden von Anfang an in GitLab für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht und unter CC-Lizenz gestellt. Dies erlaubt die Weiterverwendung und Anpassung der Inhalte. Wir wissen dabei nicht, ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde.

Die meisten deutschen Webseiten bieten Informationen nur auf Deutsch und Teile auf Englisch an. Während insbesondere Projekte und Angebote für Migrant_innen weitere Sprachen anbieten, sind insbesondere Persisch und Tigrinya unterrepräsentiert. Uns war wichtig, dass Übersetzer_innen für ihre Leistungen auch finanziell entlohnt werden und wir – als gut bezahlte Angestellte – nicht auf Ressourcen des dringend gebrauchten ehrenamtlichen Engagements zurückgreifen. Aufgrund unserer begrenzten finanziellen Ressourcen war eine Übersetzung nur in drei Sprachen möglich. Die Übersetzer_innen arbeiteten dabei in crowdin, welches einmal übersetzte Begriffe und Sätze speichert. Da wir die deutschen Texte in einfacher Sprache formuliert und zur Verständlichkeit konsequent dieselben Begriffe verwendet haben, erleichterte dies auch die Übersetzungstätigkeit.

Das Lotsen durch Angebote muss durch entsprechende Fragen an die Nutzenden gestaltet werden. Für die Entwicklung der Fragen ist die Einbeziehung der Zielgruppen entscheidend, da nur sie wissen, welche Fragen sie haben. Die Einbeziehung erfolgte in Hop-on vor allem über Berater_innen, die mit der Zielgruppe von Hop-on arbeiten und sowohl die Fragen als auch Antworten bündeln konnten. Darüber hinaus haben wir teilnehmende Beobachtungen bei der Nutzung des Fahrplans und des Kompasses zur beruflichen Bildung von erwachsenen Neuankommenden und zwischen dem dem 25.07. und dem 30.10.2017 eine Nutzer_innenumfrage auf der Webpräsenz durchgeführt. Die Erkenntnisse – beispielweise zur Navigation oder unverständlichen Begriffen – wurden in Hop-on integriert. Grundsätzlich hätten wir uns jedoch eine stärkere Einbeziehung der Menschen gewünscht, die wir ansprechen wollten. Dies wird unter den Herausforderungen noch einmal aufgenommen.

Wie funktionierte der Hop-on-Fahrplan?

In Hop-on haben wir ausgehend von der Praxis der Bildungsberatung für erwachsene Migrant_innen bzw. Erwachsene aus Einwandererfamilien einen Fahrplan entwickelt, der die wesentlichen Fragen eines Beratungsgespräches abbildet. Inhaltlich basiert er auf einem Entscheidungsbaum (Abb. 1), der Ratsuchende ausgehend von ja/nein-Fragen über berufliche, schulische und akademische Vorerfahrungen und ihren Wünschen durch das System des Aufenthaltsrechts, des Sozialgesetzbuches II, des Berufsbildungsgesetzes und den Zugangsbedingungen zum Studium zu entsprechenden Ergebnissen mit Empfehlungen zum Aufsuchen einer persönlichen Beratung führt. In dieser sollten die Ergebnisse besprochen werden. Im verlinkten Kompass (Berufliche oder Akademische Bildung) waren die entsprechend recherchierten Beratungsangebote in den Bundesländern aufgelistet und grundsätzliche Fragen ausführlicher beantwortet. Er richtete sich zu Beginn an Erwachsene mit dem Ziel, einen Berufsabschluss nachzuholen und wurde in einer weiteren Projektphase für Studieninteressierte durch entsprechende Abfragen erweitert. Jedes Ergebnis war ausgerichtet an dem angegebenen Aufenthaltsstatus – Aufenthaltsgestattung, -genehmigung oder Duldung – da dieser maßgeblich über die Teilhabe an Bildungs- (aber auch Beratungs-)angeboten entscheidet. Insgesamt wurden 65 Ergebnisse verfasst. Dieser Entscheidungsbaum wurde über die Webpräsenz als Abfrage umgesetzt (Abb. 2 und 3).

Die Webanwendung Hop-on wurde auf Python Django aufgesetzt, weil die Anforderungen an ihre Funktionalität weiter gingen, als es bspw. WordPress oder andere Content-Management-Systeme bieten. Zudem war in der Entwicklung von Interesse, wie verschiedene Prozesse der (halb)automatischen Generierung von Open Educational Resources in eine Webanwendung integriert werden können. Damit war die Anwendung auch ein komplexer und sehr lernhaltiger Gegenstand für das Team.

Der Entscheidungsbaum des Fahrplans ist eine individuelle Implementierung in Django. Hierfür wurden die möglichen Wege zu Ergebnissen zunächst in Zeichnungen modelliert (vgl. Abb. 1). Um eine zuverlässige Reproduktion und Anpassung der Pfade im Fahrplan zu ermöglichen, wurden die drei Entscheidungsbäume für “Aufenthaltsgestattung”, “Aufenthaltserlaubnis” und “Duldung” als Skripte implementiert, mit denen eine relationale Datenbank populiert werden kann. Auf dieser Datenbank aufbauend entstand dann die Implementierung des Fahrplans.

Herausforderungen und lessons learned

Ein befristetes Projekt wie Hop-on ist darauf ausgerichtet, so schnell wie möglich Ergebnisse zu produzieren. Dieser Druck kann dazu führen, dass die eigentlichen Zielgruppen zu wenig in die Entwicklung einbezogen werden. Partizipative Formate zu organisieren, umzusetzen und auszuwerten, erfordert Zeit. Auch das Erreichen der Zielgruppen ist kein Automatismus einer Webpräsenz. Grundsätzlich ist es schwierig, als kleines Projekt so viel Aufmerksamkeit zu generieren, dass die angestrebten Zielgruppen davon wissen und es nutzen können. Wir waren auf verschiedenen Veranstaltungen, zum Beispiel beim Digitalen Flüchtlingsgipfel. Wir waren bestrebt, insbesondere an Initiativen von Neuankommenden wie Syrer-Azubis und Make it German anzuknüpfen. Die Videointerviews sollten den Menschen Raum geben, die die in Hop-on beschriebenen Wege gegangen sind. Insgesamt hätten wir uns gewünscht, ein größeres festes und diverseres Team zu sein und partizipativer vorgehen zu können – sowohl bei der Entwicklung der Inhalte als auch der technischen Umgebung.

Es ist großartig, dass mittlerweile fast alle Beratungsangebote Webpräsenzen haben, auf denen man sich über die Inhalte und Kontaktmöglichkeiten informieren kann. Problematisch ist, dass kontinuierlich

1) (befristete) Projektangebote verschwinden,

2) neue dazu kommen und

3) Änderungen an den Webseiten stattfinden.

Für ein Angebot, das Orientierung schaffen und Menschen durch die Tiefen des Internets begleiten möchte, heißt dies dementsprechend, kontinuierlich Links und Angebote zu prüfen und zu korrigieren. Eine Hilfe kann dabei ein Linkchecker sein, der automatisch benachrichtigt, wenn Links nicht mehr funktionieren. Angesichts der komplexen Inhalte und der unterschiedlichen Orte derselben Links in Hop-on, ist die Korrektur jedoch ein nicht zu unterschätzender Aufwand. Bereits Zertifikatsänderungen führen dazu, dass Links nicht mehr funktionieren. Da es sich vor allem um Beratungsangebote handelt, war eine Einbettung der Inhalte wie Kontaktinformationen keine Option, da sich diese auch stetig ändern können.

Webbasierte Angebote eignen sich besonders dazu, von Engagierten weiterentwickelt zu werden. Bei Hop-on war es insbesondere bei crowdin möglich, Übersetzungen in andere Sprachen selbstständig einzupflegen. Diese Möglichkeit wurde jedoch in nur sehr geringem Maße wahrgenommen. Grundsätzlich ist ein kollaborativer Ansatz unserer Meinung nach gut für kurzfristige, jedoch weniger für langfristige Angebote geeignet, es sei denn, er wird kontinuierlich angeregt und – nicht zu vernachlässigen – die Freiwilligen sehen einen Sinn, Mehrwert und Ziel in ihrem Engagement. Zudem stellt sich die Frage nach der Qualität. Hinsichtlich der Übersetzungen von Hop-on ist zu berücksichtigen, dass Behörden- und Fachbegriffe auch für deutsche Muttersprachler_innen oftmals nicht verständlich sind. Es kommt demnach nicht nur auf eine korrekte Übersetzung, sondern auch eine Einschätzung an, wann ein Begriff so landes- und sprachspezifisch ist, dass er nicht übersetzt, sondern der deutsche Begriff verwendet werden sollte. Für einen deutschen Grundlagentext bedeutet dies wiederrum, dass Begriffe erklärt werden. Zur Qualitätssicherung bräuchte es zudem Personen, die die Übersetzungen prüfen können – wo wir wieder bei Herausforderung 1 sind.

Hop-on lag eine komplexe technische Infrastruktur zugrunde, die verschiedene Anwendungen verzahnte. Im Kontext der oben beschriebenen Fahrplanentwicklung konnten wichtige Erkenntnisse für die Anwendungsentwicklung mit GitLab, Docker und Django gesammelt werden, die in einem späteren Projekt des ITBH, dem digital.learning.lab, aufgegriffen und weiterentwickelt werden konnten. Insofern ist ein wesentlicher Gewinn darin zu sehen, dass soziale und kulturelle Praktiken, aber auch technische Kenntnisse und Fertigkeiten erworben und transferiert werden konnten.

Komplexe technische Systeme bergen somit Chancen, aber auch Risiken für eine Weiterentwicklung, da bereits kleine Veränderungen zu Fehlern im Zusammenspiel dieser führen können. Aus unserer Erfahrung braucht es demnach entweder einfache Anwendungen, die auch mit wenig Entwickler_innen-Knowhow entwickelt und gepflegt werden können. Oder es braucht eine verlässliche Ausstattung mit technischem Personal, das auch nach dem Aufsetzen des technischen Systems kontinuierlich ausreichende Ressourcen hat, sich um Probleme und Weiterentwicklung zu kümmern. Es ist daher die Frage zu stellen, welche Aufgabe Hochschulen an dieser Stelle zukommt: Liegt diese in der Entwicklung lauffähiger Anwendungen, die als Produkte langfristig vorgehalten und gewartet werden können, oder in einem Moment des forschenden Lernens an neuen Technologien, zukunftsweisenden Szenarien und innovativen Ansätzen, dessen Erkenntnisgewinn einen Beitrag zur digitalen Transformation leisten kann. Die Antwort liegt vielleicht irgendwo dazwischen und fordert die Entscheidung heraus, ob unter den geschilderten Rahmenbedingungen, vor allem im Hinblick auf Personalressourcen, produktive Lösungen überhaupt anzustreben sind.

Archivierung

Da wir Hop-on über GitLab aufgesetzt haben, waren von Anfang an alle Inhalte archiviert und wurden von uns für die Öffentlichkeit freigeschaltet. Da die Ordnerstruktur jedoch nicht die übersichtlichste ist, haben wir als HOOU-Projekt das Glück, die Materialien zusätzlich auf der HOOU-Plattform zu hinterlegen, wo sie ebenfalls unter CC-Lizenz zugänglich sind.

Eine weitere Möglichkeit, die sehr attraktiv ist, wir jedoch ressourcenbedingt nicht umsetzen konnten, ist der Webrecorder. Angesichts der unzähligen Webseiten, insbesondere von befristeten Projekten, stellt dies eine weitere Möglichkeit dar, komplette Webpräsenzen zu archivieren, ohne die Interaktivität zu verlieren. Nachhaltigkeit sollte insbesondere in Zeiten des Internets von Projektbeginn an mitgedacht werden.

Wir haben mit Hop-on alle viel gelernt, darin besteht kein Zweifel, und wir sind froh, dass wir zumindest die entwickelten Materialien archivieren und weitergeben können. Was wir uns für alle wünschen, die solch – unserer Meinung nach – immer wichtiger werdenden Orientierungsangebote entwickeln, sind nachhaltige Ressourcen und Strukturen, um Orientierung als Teil des (digitalen) Bildungs- und Beratungssystems langfristig zu implementieren. Wir freuen uns, dass Survey² – Research goes on(line): Community für Onlineforschung einen Preis beim Hackathon gewonnen hat. Wir drücken den anderen Orientierungsprojekten jedoch sehr die Daumen, dass auch sie ihre Ideen nachhaltig umsetzen können.

Wir würden uns freuen, wenn unsere in einem großartigen Team von vielen engagierten Menschen entwickelten Ansätze weiterverwendet und -entwickelt werden. Ihnen und unseren Interviewpartner_innen gilt unser Dank: Ali, Andreas, Anne, Daphne, Dodo, Dr. Abouelmaati, Faisal, Fouad, Herr Cissé, Herr Mengesha, Isidora, Johanna, Konstantin, Lothar, Michael, Mohammad, Nazime, Omar, Prof. Dr. Dr. h.c. Garabed Antranikian, Sam, Sami, Stephan und Zeinah.

Gerne stehen wir für Fragen zu Verfügung.

Axel Dürkop, Christiane Arndt und  Dr. Tina Ladwig (TUHH)

 

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