Das digitale Experimentierfeld für Lehre und Forschung

Wie stellen sich Hochschulen in digitalen Zeiten auf die Herausforderung ein, andauernd dazulernen zu müssen? Wie können Hochschulen Potenziale von Digitalisierung erkennen und dieses komplexe Phänomen in Forschung und Lehre integrieren? Wie vermeiden sie es dabei, aktuelle und zukünftige Probleme nur mit der Erfahrung und dem Wissen von gestern zu lösen? Antworten darauf mögen so unterschiedlich sein, wie die Hochschulen es selbst sind und wie jede_r einzelne Akteur_in dies wahrnimmt. Kultur, Struktur und strategische Schwerpunktsetzungen bestimmen sehr individuell, was aus diesen Fragen folgt.

 

 

So ist auch das digitale Experimentierfeld an der TU Hamburg eine sehr individuelle Antwort auf diese Fragen. Seine Geschichte wollen wir in diesem Blog gemeinsam erzählen. Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass wir mit unserem gegenwärtigen Vorgehen eine abschließende Definition für den schillernden Begriff Digitalisierung gefunden haben, oder gar ein Rezept, das bei artiger Befolgung zum Erfolg führt.

Stattdessen wollen wir zeigen, dass wir die Potenziale des Digitalen in Lehre und Forschung sehr unterschiedlich verstehen. Wir sind davon überzeugt, dass diese Diversität der Nährboden für Innovationen ist. Wir möchten unsere Fragen, Erfolge und Herausforderungen transparent machen und unseren Leserinnen und Lesern Anknüpfungspunkte zu ihren Aktivitäten an ihren eigenen Hochschulen anbieten. Vielleicht sind es die Erfahrungen mit konkreten Tools, mit Lernarrangements, mit Forschungssettings, die Anlässe zum Austausch bieten. Vielleicht sind es strukturelle oder kulturelle Herausforderungen, die sich hochschulübergreifend als immer gleich identifizieren lassen und deshalb gemeinsamer Standards bedürfen. Vielleicht sind es aber auch die Geschichten hinter den Personen, die das Experimentierfeld gemeinsam mit uns entwickelt haben. Denn ein Aspekt, den wir gelernt haben in den letzten Jahren ist, Digitalisierung verstehen, handhaben und gestalten bedarf vieler Perspektiven und diverser Expertise. Und es bedarf den Mut und die Offenheit, Neues zu entdecken, zu experimentieren und zu scheitern.

 

Zur Entstehung des digitalen Experimentierfelds an der TU Hamburg

Wenngleich auch schon vorher an der TU Hamburg Lehrende, Forschende und Studierende die Potenziale der Digitalisierung ausgelotet haben und sich aktiv und gestaltend im Bereich des E-Learnings und der Digitalisierung engagiert haben, so markiert die Hamburg Open Online University (HOOU) einen bedeutenden Moment in dieser Entwicklung: 2014 wurden die sechs Hamburg Hochschulen und das UKE vom damaligen Oberbürgermeister Olaf Scholz aufgefordert, offene und frei zugängliche Lernarrangements zu erarbeiten und in einer zentralen Internetplattform bereitzustellen. Geldmittel waren vorhanden, das Projekt machte Lust und an allen Hochschulen entstanden erste Ideen und Entwürfe zu webgestützten Lernarrangements. Allein die geplante zentrale Plattform befand sich verständlicherweise noch in der Entwicklung, sodass die Hochschulen zunächst auf existierende interne IT-Strukturen zurückgreifen mussten.

An der TU Hamburg haben wir diesen Moment als Chance gesehen, neue Wege zu gehen und eine Kultur des Experimentierens mit Softwaretools, Arbeitsprozessen und didaktischen Ideen zu schaffen. Dabei haben wir das Rad nicht immer neu erfunden, sondern auch Ideen und Konzepte von anderen übernommen, in unseren Kontext transferiert, reproduziert und nachvollzogen – ein Vorgehen, das uns später dazu geführt hat, den Transfer digitaler Hochschulbildungskonzepte systematisch mit dem Forschungsprojekt BRIDGING zu beforschen.

 

Vorbilder und Leitideen

Das Hauptkriterium, das uns bei der Auswahl unserer Vorbilder geleitet hat, war Offenheitein zentraler Bestandteil des HOOU-Markenkerns. Bei der Frage nach der Bedeutung und dem Verständnis von Offenheit haben wir in unterschiedlichen Diskursen inspirierende Beispiele und Praktiken gefunden, die wir für uns nutzbar machen wollten.

Die Kultur der Softwareentwicklung. Die Bewegung um Free/Libre and Open Source Software (FLOSS) gilt als Wurzel zahlreicher verwandter Diskurse von Offenheit. So sind Open Education, Open Science und Open Access in weiten Teilen von den Arbeitsprozessen, Werkzeugen und der Ethik der FLOSS-Bewegung beeinflusst worden. Grund genug also, genauer hinzuschauen, wie heute freie und quelloffene Software entwickelt wird und was Hochschulen aus diesen sozio-technischen Systemen lernen können. Aus unseren Beobachtungen ergab sich, dass wir GitLab, Docker und statische Websitegeneratoren für das Fundament von Entwicklungs- und Publikationsprozessen in der HOOU an der TUHH ausgewählt haben, um moderne kollaborative Prozesse des Schreibens und Publizierens in der TUHH zu etablieren (vgl. auch Dürkop, 2016; Dürkop, Böttger, Ladwig & Knutzen, 2017).

Die Technikstacks der Anderen. Da die TUHH in der HOOU die Federführung für das Konzept und die Plattform innehat, interessierte uns mit dem Start der Entwicklung der HOOU-Plattform, welchen Technikstack die großen MOOC-Anbieter in den USA verwendeten. edX, ein Konsortium von Havard und MIT, gab die Communityversion seiner Plattform unter dem Namen Open edX auf der Basis von Django heraus. Wir wollten wissen, was an Django so gut war, dass es hier das Rennen gemacht hatte und stellten zunächst fest, dass auch die NASA, die Washington Post, Pinterest und Mozilla das Python-Webframework einsetzen. Diese großen Namen waren für uns Grund und Ansporn, Django auch an der TUHH für digitalgestützte Lehr-Lernkonzepte zu evaluieren. Schließlich haben wir das HOOU-Projekt Hop-on mit Django realisiert und 2018 auch das digital.learning.lab – und ja, wir müssen sagen, ein Leben ohne Django ist möglich, aber sinnlos.

Reformpädagogische Einflüsse in der Digitalisierung. Vor allem die Lifelong Kindergarten Group des MIT Media Labs mit ihrem Bezug auf Fröbel und Dewey hat uns bei unseren Experimenten inspiriert und beeinflusst auch aktuelle Projekte mit ihrem Ansatz. Mit Erfahrungslernen und den “vier Ps” – projects, peers, passion and play – stehen dort Lernende im Mittelpunkt aller didaktischen Ansätze (vgl. Resnick, 2017). Kreativität und Offenheit werden im besten Sinne von Open Education gelebt und in weltweit erfolgreichen digitalen Projekten wie Scratch und MakeyMakey implementiert (vgl. für weitere Beispiele Dürkop & Ladwig, 2016, S. 27ff.).

 

Geteilte Werte im Experimentierfeld

Wir können an dieser Stelle nicht sagen, wovon die mittlerweile zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, die im digitalen Experimentierfeld der TU Hamburg agieren, konkret geleitet und angetrieben werden. Projekte wie RUVIVAL, SciFiVisions, MikiE – Mikroben im Einsatz, RhinoCloud und Kniffelix deuten jedoch darauf hin, dass die Akteur_innen sich auf einen Kern von Wertvorstellung committen können, der den Herausforderungen der Digitalisierung in Lehre und Forschung jenseits klassischer Lernmanagementsysteme zu begegnen versucht. Ein wesentlicher Einflussfaktor, von dem alle HOOU-Projekte an der TUHH profitiert haben, war die Freiheit, aus ihren eigenen fachdisziplinspezifischen Bedarfen Lernangebote zu realisieren, die sowohl in der Lehre aber auch in ihrem Forschungskontext eine Rolle spielen. Hier war es uns wichtig, dass es einen Diskurs auf Augenhöhe zwischen Lehrenden, Lernenden und projektbegleitenden Berater_innen der HOOU@TUHH gab. Aus dem Grund sind wir in einigen Projekten auch dem Prinzip der User-Story-Mapping-Workshops gefolgt, welches einen partizipatorischen Ansatz bei der Gestaltung von digitalen Lernangeboten verfolgt (vgl. Ladwig & Dürkop, 2017). Dies spiegelt sich auch in dem Prinzip der Modularität wider.

Modularität. Im Vordergrund steht die Frage nach den Lernzielen und den Interessen und Bedarfen der Lernenden. Daraus folgt die Wahl der geeigneten Technik. Die modulare Kopplung der gewählten Tools entspricht nicht nur dem Unix-Prinzip Do One Thing and Do It Well, sondern erhält auch durch die Argumentation von Kahle (2008) Unterstützung. So kommen bspw. bei RUVIVAL die Forumsoftware Discourse und HumHub zum Einsatz, die über eine WordPress-Präsenz miteinander im didaktischen Setting gekoppelt werden.

Dezentralität. Es finden sich in der aktuellen Diskussion um Digitalisierungsstrategien von Hochschulen immer wieder Argumente und starke Stimmen, die für zentrale Einrichtungen und Installationen plädieren. Diese sind nicht von der Hand zu weisen, sondern bedürfen einer kontextabhängigen und differenzierten Betrachtung. So ist es bspw. eine richtige Entscheidung, das Engagement der Hamburger Hochschulen in einer zentralen Webplattform wie der HOOU zu bündeln und Synergieeffekte zu nutzen. Eine andere Entscheidung war zudem, dass wir dem Prinzip von Dezentralität auch bei der Umsetzung der einzelnen HOOU-Projekte gefolgt sind. Jedes einzelne Projekt konnte aus dem individuellen fachspezifischen Kontext heraus Bedarfe und Potenziale im Kontext der Entwicklung und Implementierung der Lernangebote frei definieren.

Flankierend und ergänzend dazu birgt ein dezentraler Ansatz wie das digitale Experimentierfeld der TUHH für Akteur_innen auf verschiedenen Ebenen der Hochschule das Potenzial, sich konkret und individuell lernend mit den Herausforderungen der Digitalisierung – in einem weiten Sinne verstanden als Durchdringung unserer Lebens- und Arbeitswelt mit digitalen informationstechnischen Systemen – auseinanderzusetzen. Die TUHH hat ihre Erkenntnisse aus ihren Experimenten stets mit den anderen Partner_innen im Verbund und den Plattformentwickler_innen geteilt, sowohl im direkten Austausch als auch im Blog der HOOU. Dezentralität fördert zudem die Stabilität, Ausgewogenheit und Nachhaltigkeit des Internets, wie es z.B. der aktuelle Statusbericht zur Gesundheit des Internets von Mozilla nahelegt (vgl. Mozilla, 2018).

In unserem wöchentlichen Hack[a|er]space am ITBH der TUHH, der Lehrenden, Forschenden, Studierenden und Externen offen steht, unterstützen und motivieren wir uns gegenseitig bei der Aneignung von Technik und setzen uns kreativ und mutig mit neuen Trends und Ansätzen in Lehre und Forschung auseinander.

Transparenz, Zugang und Forkability. Zentral für die Diskurse Open Source, Open Education, Open Science und Open Access ist die Forderung nach freiem Zugang und Transparenz der zugrundeliegenden Informationen. Die GitLab-Instanz der TU Hamburg, die wir 2016 in den Produktivbetrieb übernommen haben, leistet hierbei mittlerweise einer vierstelligen Zahl von Nutzer_innen an der TUHH und außerhalb gute Dienste. Unser Ziel war es, den Zugang zu den Quellen von Open Ecuational Resources (OER), Forschungsdaten und Websitequelltexten unkompliziert und weltweit zugänglich anzubieten. Der niederschwellige und weitreichende Zugang zu der Plattform ermöglicht nun, internationale und interdisziplinäre Lehr- und Forschungsgemeinschaften aufzubauen. So nutzt bspw. das Projekt Hamburg Open Science (HOS) das GitLab der TUHH zum Projektmanagement und das Institut des Vizepräsidenten für Forschung, Prof. Dr. Andreas Timm-Giel, für Forschungs- und Lehrprojekte. Das ITBH, dem der Vizepräsident für Lehre, Prof. Dr. Sönke Knutzen, vorsteht und wo die GitLab-Initiative durch Axel Dürkop, Andreas Böttger und Dr. Tina Ladwig ihren Anfang nahm, nutzt GitLab mittlerweile in zahlreichen Forschungs- und Entwicklungsprojekten. Wie Django möchten wir es nicht mehr missen.

Daten und Quelltexte können in GitLab offen zugänglich gemacht werden und sind quasi “to go”, können also geforkt und für weitere Zwecke verwendet werden – ganz im Sinne von Free Software, Open Educational Resources und Open Science.

GitLab ist auch ein Dreh- und Angelpunkt in der Verknüpfung der verschiedenen Tools, die in den Projekten der HOOU an der TUHH bedarfsgerecht kombiniert werden. Einen aktuellen Überblick über die eingesetzten und miteinander kombinierten Tools bietet die nachfolgende Abbildung.

 

 

Hier ist zu erwähnen, dass diese entsprechend den zuvor beschriebenen Wertvorstellungen sehr modular aufgebaut ist und somit jederzeit um weitere Tools ergänzt werden können, je nachdem welcher Bedarf aus den Lernangeboten aber auch aus Forschungsprojekten formuliert wird. Jedes Projekt kann für sich definieren, welche Potenziale der angesprochenen Tools ausgeschöpft werden soll. Diese Freiheit hat natürlich auch zur Folge, dass wir es mit einer sehr komplexen Toollandschaft zu tun haben. Die Entwicklung und Administration dieser kann uns nur durch die großartige Unterstützung und Zusammenarbeit mit unseren Kolleg_innen aus dem Rechenzentrum und der Bibliothek der TUHH gelingen.

 

Das Team openTUHH

Das digitale Experimentierfeld der TUHH war nie so geplant, wie es sich in diesem Moment darstellt. Vielmehr war es selbst ein Experiment, das sich sehr positiv entwickelt hat. Auf dem Weg von den ersten Ideen und Experimenten bis heute haben sich immer mehr zentrale Einheiten und Kolleg_innen der TUHH zusammengefunden, die aktiv die die Herausforderungen der TUHH in digitalen Zeiten mitgestalten. Das Kernteam openTUHH dieses Prozesses besteht mittlerweile aus den beiden Vizepräsidenten für Lehre und Forschung, der Leitung und den Kolleg_innen der TU Bibliothek, der Leitung des Rechenzentrums sowie Dr. Tina Ladwig, Axel Dürkop und Andreas Böttger.

Aus diesem Kreis ist auch die Policy für Offenheit in Forschung und Lehre entstanden, die Ausdruck der Haltung und Wertvorstellungen der TUHH zu offener Bildung und Wissenschaft ist. Und ein Ergebnis des digitalen Experimentierfeldes in Lehre und Forschung.

Im Namen aller Beteiligten des digitalen Experimentierfelds der TUHH laden wir Sie ein, unsere bisherigen und zukünftigen Experimente kritisch-konstruktiv zu begleiten und die Diskurse Open Education, Open Science und Open Access aktiv mitzugestalten.

 

Referenzen

  • Dürkop, A. (2016, April 28). Entwicklung einer offenen technischen Infrastruktur für HOOU-Lernarrangements an der TUHH. Hamburg Open Online University. Projektblog. Verfügbar unter: https://doi.org/10.15480/882.1649
  • Dürkop, A. & Ladwig, T. (2016). Neue Formen der Koproduktion von Wissen durch Lehrende und Lernende. Arbeitspapier No. 24. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung. Zugriff am 16.6.2018. Verfügbar unter: https://doi.org/10.15480/882.1334
  • Dürkop, A., Böttger, A., Ladwig, T. & Knutzen, S. (2017, Januar 6). Ein technisches System für die kollaborative OER-Entwicklung im Experimentierfeld der TUHH. Hamburg Open Online University. Projektblog, . Zugriff am 16.6.2018. Verfügbar unter: https://doi.org/10.15480/882.1653
  • Kahle, D. (2008). Designing Open Educational Technology. In T. Iiyoshi & M.S.V. Kumar (Hrsg.), Opening up Education: The Collective Advancement of Education Through Open Technology, Open Content, and Open Knowledge (S. 27–45). Cambridge, Massachusetts: MIT Press. Zugriff am 2.6.2018. Verfügbar unter: https://mitpress.mit.edu/books/opening-education
  • Ladwig, T. & Dürkop, A. (2017, November 1). User Story Mapping. Ein kreatives Workshop-Format in der Projektarbeit der Hamburg Open Online University (HOOU). Workshop-Präsentation gehalten auf der Fachlicher Austausch über Großprojekte in Hamburg, initiiert von der FHH, Hamburg. Verfügbar unter: https://collaborating.tuhh.de/hoou/2017-11-01-workshop-erfahrungsaustausch
  • Mozilla. (2018). Der Statusbericht zur Internetgesundheit 2018. Zugriff am 18.11.2018. Verfügbar unter: https://internethealthreport.org/2018/
  • Resnick, M. (2017). Lifelong Kindergarten: Cultivating Creativity Through Projects, Passion, Peers, and Play. Cambridge, Massachusetts: MIT Press.

Dieser Beitrag wurde verfasst von Axel Dürkop und Tina Ladwig.

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